Übersicht:
Anna und das nostalgische Karussell ( Wunscherfüllung im Freilichtmuseum )
Anna und die Elfe ( Eine befreiende Begegnung im Park )
Anna und die Tiere des Waldes ( Wenn der Mensch ganz leise wird... )
Anna und der Sternenhimmel ( Sternen-Tanzen-Zeit )
Anna und die Verwandlung ( Die Adlerfeder )
Anna und die Wächter der Nacht ( Eine ganz besondere Sturmnacht )
Anna und die Musik ( Geteilte Liebe )
Anna und der rasende Zug ( Der Angstzug )
Anna und der Zauberring ( Die Höhle des Schamanen )
An einem sonnigen, kalten Wintertag machen sich Anna und ihre Eltern auf den Weg zum Winterweihnachtsmarkt im Freilichtmuseum. Die drei freuen sich da schon die ganze Zeit drauf. Dieser Besuch gehört zur Weihnachtszeit genauso, wie Plätzchen backen und Wunschzettel schreiben.
Sie lieben es, diese alten Gebäude zu betrachten, die so liebevoll eingerichtet sind. Über den Türen hängen leuchtende Sterne und an diesem besonderen Wochenende sind da ganz viele Menschen in alten Gewändern. Aus dem einen Haus duftet es nach frischem Holzofenbrot. Im Nächsten ist eine Ausstellung mit Kinderbüchern. Zwischendurch wurden tolle Stände aufgebaut und es duftet nach Waffeln und Flammkuchen.
Es fühlt sich so an, als hätten die Besucher ihre Hektik vor dem Eingang des Freilichtmuseums abgelegt. Alle wirken entspannt, sind fröhlich und freudig. Vielleicht, weil man durch die Gewänder und ursprünglichen Handwerke an Vergangenes erinnert wird. An eine Zeit ohne Termindruck. Als sich das Leben der Menschen mehr nach dem Tageslicht und den Zeiten der Natur richtete.
Auf dem Weg durch das Freilichtmuseum begegnet Anna und ihre Eltern ein Weihnachtsmann. Er fragt Anna, ob sie denn schon einen Wunschzettel geschrieben habe. Und ob die Engel den schon in einer der letzten Nächte abgeholt hätten. Anna muss nicht lange überlegen. Sie wünscht sich einfach mehr von diesen Familienausflügen. Wo alle zusammen sind, sie den Alltag vergessen, und in andere Welten eintauchen. Anna ist es dabei egal, ob sie im Wald ein Picknick machen, gemeinsam Erdbeeren pflücken und daraus Marmelade kochen oder einen Ausflug in den Zoo unternehmen. Hauptsache Mama, Papa und Anna sind für einige Stunden nur für sich. Das sagt sie auch dem Weihnachtsmann.
Der staunt nicht schlecht und nickt einfach nur. Es hat ihm wohl die Sprache verschlagen, dass Anna sich kein Handy, kein neues Fahrrad oder wer weiß was wünscht. Er überreicht Anna, so wie jedem Kind, eine Wundertüte und geht weiter.
Anna öffnet die Tüte und findet darin einen Zettel mit der Aufschrift: Möge dein nächster Wunsch sofort in Erfüllung gehen.
„Ui“, sagt Anna. „Da bin ich aber mal gespannt.“ Sie reden gar nicht länger darüber und drehen weiter ihre Runde auf diesem weihnachtlichen Markt. Am Ende des Ausfluges darf Anna immer auf dem nostalgischen Karussell einige Runden drehen. Sie findet das Karussell zwar ein bisschen kitschig mit diesen bunten Figuren, den alten Prinzessinnen und Märchenfiguren….aber irgendwie mag sie es auch sehr.
Heute setzt sich sich auf ein weißes Pferd, welches aber irgendwie eher wie ein Einhorn aussieht. Komisch, das ist ihr bisher noch nie aufgefallen. Es ist wunderschön! Sie setzt sich darauf, die Musik geht los und langsam setzt sich das Karussell in Bewegung. Anna denkt in diesem Moment an den Weihnachtsmann zurück und an den Zettel aus der Wundertüte: „Möge dein nächster Wunsch sofort in Erfüllung gehen.“
Anna grinst in sich hinein, weil sie eine ganz verrückte Idee hat. Wie wäre es, wenn sie sich wünschen würde, dass das Einhorn mit ihr losreiten oder losfliegen könnte? Und sie den Weihnachtsmarkt und alle Menschen dort von oben, aus der Luft, sehen könnte? Das ist doch ein toller Wunsch!
Kaum hatte sie an diesen Wunsch gedacht, lösen sich auch schon die Schrauben und Verankerungen des Karussells vom Einhorn. Anna winkt ihren Eltern aufgeregt zu, aber die scheinen von diesem Zauber gar nichts zu bemerken. Das Einhorn breitet seine Flügel aus, sagt zu Anna sie solle sich gut an seiner Mähne festhalten und dann geht es auch schon los. Sie springen, und fliegen auch ein bisschen, durch all die glücklichen und zufriedenen Menschen. Allerdings nimmt sie außer einem kleinen Jungen, der staunend und mit offenem Mund auf sie zeigt, niemand wahr. Das macht Anna aber nichts. Es ist einfach soooo toll. Sie träumt nämlich oft vom Fliegen. Und nun wird es endlich wahr!
Die Musik geht langsam zu Ende, das Karussell wird langsamer, bleibt stehen und das Einhorn nimmt seinen Platz wieder auf dem Karussell ein, als sei nichts geschehen. Es zwinkert Anna noch zu, als Papa sie von seinem Rücken herunter hebt.
Anna lächelt und strahlt über dieses Erlebnis. Mama fragt noch nebenbei: „Und, Süße, wie war es? Hat es dir Spaß gemacht?“ Anna zeigt noch einmal grinsend auf das Einhorn und sagt:
„Ja, das war einfach ein ganz zauberhafter Ausritt.“
Anna sitzt etwas verträumt und gedankenverloren auf ihrer Lieblingsparkbank. Überall um sie herum raschelt es leicht, und die Bäume fangen an, nach und nach, ihre bunten Blätter abzuwerfen. Es duftet schon etwas nach Herbst - leicht rauchig und ein bisschen vermodert. Die Natur zieht sich langsam zurück.
„Ach, schade.“ denkt Anna. „Nun ist der `Auf-der-Wiese-liegen-Sommer` vorbei.“ Ein leises Gefühl von Sehnsucht nach Sonne und Wärme hüllt sie ein. Aber sie freut sich auch schon sehr auf die jetzt beginnende `Bunte-Raschel-Blätter-Zeit´. „Das wird ein Spaß!“ Anna liebt es, in und mit den Blättern zu toben. Am liebsten mit ihrer Freundin Hannah.
Plötzlich spürt sie ein leichtes Poltern neben sich. Huch, was war das? Sie schaut nach links und guckt in zwei lächelnde Augen. Sie wirken etwas spitzbübisch. Dann schaut sie genauer hin. „Oh, wer bist du denn? Und wo kommst du auf einmal her?“
Es ist eine kleine Elfe. Ganz zart und seidig. Sie hat ein grünes Kleid an und hat wunderschöne, rosafarbene Flügel. Sie antwortet zwar nicht, zeigt aber nach oben und ruft: „Wer ist zuerst in der Baumkrone?“ Und zack, ist sie auch schon weg. „Wo bleibst du denn?“ ruft die kleine Elfe einen Moment später. Schwupps, ist sie schon wieder auf dem Weg zurück zu Anna. „Ich war schon fast oben!“
Anna dreht sich etwas zur Seite und zeigt auf ihren Rücken. „Oh.“, meint die kleine Elfe nur. Sie schaut dabei etwas verwundert und stellt sich Anna nun erst einmal mit Namen vor: „Ich heiße Elfi“. „Und ich Anna“, antwortet das Mädchen etwas traurig. „Meine Flügel funktionieren nicht richtig. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht mehr, dass ich welche habe.“
Nun schaut die Elfe sich Annas Rücken aber erst einmal etwas genauer an. „Da klebt etwas!“, ruft sie mit ihrer hellen, lauten Stimme. „Dein linker Flügel ist festgeklebt. Mit einem schwarzen Aufkleber. Komisch! Ich knibbel den mal ab. Ok?“ „Jaaa“, ruft Anna voller Freude. „Kann ich dann jetzt auch so toll fliegen wie du?“ fragt Anna ganz begeistert.
Elfi zeigt Anna den Aufkleber. Sie liest laut vor, was da drauf steht: „Es gibt nur das, was du sehen kannst.“ „Huch“, sagt Elfi. „Wer hat dir den denn da drauf geklebt?“ Anna überlegt. „Hm, weiß ich auch nicht. Ich glaube das hat mal meine Lehrerin gesagt.“
Sofort spürt Anna ihren linken Flügel. Wie schöööön. Er fühlt sich so wundervoll an. Der Flügel ist so feingliedrig. Und in der Sonne schimmert er kunterbunt.
„Hm“ meint die Elfe. „Auf deinem rechten Flügel steht auch noch etwas.“ „Was denn?“, seufzt Anna. „Zu viel Fantasie.“, antwortet Elfi. "Das ist schon etwas schwieriger“, entgegnet die kleine Elfe. Sie verharrt einen Moment und überlegt angestrengt.
„Der Satz ist irgendwie eintätowiert. Komm, wir verbinden uns und denken gemeinsam gaaaanz fest an eine Riesenfreude und alles ist ganz hell und bunt.“ Elfi nimmt Annas Hand und kaum haben sie damit begonnen, an all das Schöne und Freundliche zu denken, erscheint ein Lichtstrahl und überschreibt die alte Aussage auf Annas rechtem Flügel. Ein neuer Schriftzug erscheint: „Fantasie ist wundervoll!“
Anna spürt, wie das Blut jetzt langsam und ganz sanft in ihre Flügel einströmt. Ein leichtes Ziehen und Kribbeln. Dann reckt und streckt sie sich und ein warmes Lächeln überzieht ihr Gesicht.
Die Elfe hilft ihr auf, schiebt Anna von hinten etwas an und stützt sie. Der erste Flug! Fantastisch! Noch etwas unsicher und wackelig. Aber Anna hebt ganz leicht von der Parkbank ab. Die Elfe lächelt über´s ganze Gesicht. Und strahlt bis über beide Flügel.
Dann hüpft sie von einem Bein auf´s andere und die kleine Elfe ruft: „Ich muss jetzt weg. Sehen wir uns morgen wieder?“ Sie winkt Anna dabei noch aus der Ferne zu. „Dann treffen wir uns hier wieder und fliegen gemeinsam hoch in den Baum. Und wir springen und hüpfen von Blatt zu Blatt. In der Zwischenzeit kannst du ja etwas üben.“
Anna lächelt und winkt wie verrückt zurück. Vor lauter Vorfreude hebt sie mit einem festen Flügelschlag noch einmal kurz von der Bank ab. Großartig!
Anna schaut sich um. Niemand da, der sie beobachtet hat. Das ist gut. Denn wie sollte sie das alles wieder erklären? Immer und immer sagt sie leise vor sich hin: „Flügel. Flügel. Flügel.“
Leise, aber wissend, lächelt sie in sich hinein und sagt: „Hab ich es doch gewußt! Da ist so viel mehr als die Menschen mit ihren Augen sehen können.“ Ein breites Lächeln überzieht dabei nochmals ihr Gesicht.
An einem warmen Sommerabend geht Anna mit ihrer Freundin Kathi und deren Hund eine Runde durch den Wald spazieren. Anna liebt die Zeit, die sie mit ihrer Freundin verbringt. Ständig denken sich die beiden Geschichten aus und erleben, gerade draußen, immer ganz wundervolle Dinge. Mit Kathi kann sie ebenso gut reden, wie schweigen.
Heute nimmt Anna den Hund von Kathi an die Leine. Es ist ein kleiner Rauhaardackel namens Pelle. Anna liebt Pelle, weil er immer so lustige Dinge im Kopf hat.
Letztens hat er einem Schmetterling hinterher geschaut. Und dann sprang er plötzlich los. Anna dachte erst, dass er den Schmetterling jagen will. Aber der Schmetterling verließ die bunte Blume, drehte eine Runde durch den Garten und dann flog er auf Pelle zu. Pelle schnappte leicht nach dem gelben Schmetterling. Es kam Anna so vor, als würden die beiden miteinander spielen. Ja, als würden sie fangen spielen. Pelle hüpfte und sprang ganz freudig durch den Garten. Drehte sich im Kreis, weil der Schmetterling nun an seinen Hinterläufen war. Irgendwann liefen und flogen sie einige Meter nebeneinander her. Bis der Schmetterling mit einem kräftigen Schwung über den Zaun hinweg flog und Pelle einfach stehen ließ.
Pelle schaute dem Schmetterling noch eine Weile hinterher und es kam Anna so vor als würde er mit ihm reden und sagen: „Hey, nun flieg doch nicht einfach weg. Lass uns weiter spielen.“ Denn kurz darauf kam der Schmetterling noch einmal zurück und schien sich von Pelle zu verabschieden. Er drehte einen kleinen Kreis und Anna vernahm lautlose Worte. Eigentlich waren diese lautlosen Worte eher Bilder. Denn plötzlich sah sie den Schmetterling mit ganz vielen anderen Schmetterlingen. Und es kam Anna so vor, als würde er zu Pelle sagen: „Ich fliege jetzt zurück zu meiner Familie. Vielleicht sehen wir uns ja morgen wieder. Ich bin regelmäßig bei euch im Garten zu Besuch.“ Pelle schaute etwas verträumt hinterher und lief dann zu Kathi als wolle er ihr erzählen, was er gerade erlebt hatte: Ein lustiges Spiel mit einem Schmetterling.
Anna, Kathi und Pelle drehen also heute eine Runde im Wald. Und Anna hat das Gefühl, als würde Pelle wieder etwas Spannendes erleben wollen. Tagsüber hatte heute in der Familie niemand Zeit für ihn. Er freut sich schon den ganzen Tag auf den gemeinsamen Spaziergang. Mit Anna und Kathi zusammen ist einfach immer etwas los.
“Huch, was ist das?“, überlegt Pelle und streckt dabei die Nase in die Luft. Er wittert etwas, dass es nur im Wald zu geben scheint. Aus dem Park oder dem Garten kennt er diesen Geruch nicht. Er ist sich sicher, dass es keine Blume und kein Baum ist. Das muß ein Tier sein! Dann streckt er seine Nase noch etwas höher in die Luft.
Auch Anna bleibt stehen. Sie hat es im Gebüsch rascheln gehört. Kathi, die gerade irgendeine Geschichte erzählt, bleibt auch stehen, nachdem sie Anna und Pelle beobachtet hat. Da ist ihr schon wieder klar, dass die beiden etwas wahrgenommen haben, was sie noch nicht gehört und gesehen hat.
Anna nimmt die Leine von Pelle fest in die Hand, denn sie ahnt schon, was da im Gebüsch raschelt. An dieser Stelle, kurz vor der Lichtung im Wald, sind nämlich oft Rehe. Und so ist es auch heute. Anna beugt sich zu Pelle hinunter, flüstert ihm etwas ins Ohr und Pelle ist plötzlich ganz ruhig. Zuvor ist er jedem Blatt hinterher gesprungen und jedem Geruch gefolgt, der ihm in die Hundenase stieg.
Die drei verharren ganz ruhig und schauen sich um. Ja, da ist wirklich ein Reh. Ein kleiner Bock mit einem samtigen Geweih. Anna flüstert: „Der ist bestimmt erst ein oder zwei Jahre alt. Und sein Fell ist noch ganz weich.“ Jetzt hat Pelle ihn auch entdeckt. Er ist ganz hin und weg von diesem Anblick. So etwas Schönes hat er noch nie gesehen. Der Rehbock hebt seinen Kopf und lauscht. Dabei zucken seine Ohren leicht nach vorn und wieder zurück, hin und her. Jetzt hat er die drei entdeckt. Zuvor war er noch fleißig mit dem Fressen von zarten Blättern beschäftigt.
Kathi ist ganz aus dem Häuschen und flüstert aufgeregt: „Ein Reh, ein Reh, mein erstes, echtes Reh! Wow! Und wir haben es entdeckt. Ich kenne Rehe bisher nur aus dem Zoo oder dem Fernsehen.“ Nun schaut Anna aber doch etwas überrascht zu Kathi herüber: „Du hast noch nie ein Reh im Wald gesehen?“ „Nein, antwortet Kathi. „Mit Pelle gehen wir meistens im Park spazieren. Und im Wald drehen meine Eltern immer nur die gleiche Runde. Den Hauptweg entlang und dann wieder aus dem Wald heraus. An dieser Lichtung war ich noch nie. So weit sind wir bisher noch nie in den Wald hinein gelaufen.“
Anna schaut etwas überrascht, hält ihren Zeigefinger an ihren Mund und macht „Pssst. Nun sei doch mal still und beobachte das Reh in Ruhe. Sonst ist es gleich weg.“ Sie setzen sich auf den Waldboden. Von diesem Punkt aus haben sie einen ganz freien Blick auf die Lichtung.
Das Reh geht langsam weiter. Und plötzlich, wo die beiden Mädchen und der Hund ganz still und ruhig geworden sind, zeigen sich noch ganz viele andere Tiere. Als hätten sie nur darauf gewartet, dass es ruhig wird, um aus ihren Verstecken heraus zu kommen. An einem Baum jagen zwei Eichhörnchen den Stamm hoch und runter. Meckern ein bisschen und springen dann von Ast zu Ast. Mit einem lauten Ruf kommt ein Eichelhäher angeflogen. Plötzlich sind da ganz viele Meisen, ein Rotkehlchen und über der Lichtung fliegt ein Bussard hinweg.
„Wow“, ruft Kathi: „Ein Wald-Tierpark. Toll! Und alle Tiere sind so fröhlich und lustig. Das ist ja hier viel schöner als im Zoo. Da sind alle in ihren Gehegen und können gar nicht dorthin, wo sie hinwollen.“
Die Meisen fliegen um die Wette und genießen dieses Fleckchen Erde. Anna zeigt in Richtung Lichtung und grinst: „Da sind noch zwei Rehe. Ob das wohl die Eltern sind? Oder Mutter und Tante? Egal, es ist einfach so wunderschön hier.“ Alle trauen sich, sich zu zeigen und sind ganz entspannt und einige Tiere tollen entspannt umher.
Nach einigen Augenblicken ist der Zauber vorbei. In der Nähe bellen zwei Hunde. Ein großes Getöse ist zu hören und alle Tiere verschwinden in die unterschiedlichsten Richtungen. Die Rehe machen sich mit großen Sprüngen auf in die Schonung. Die Meisen fliegen ein Stück weiter und die beiden Eichhörnchen hüpfen von Baumkrone zu Baumkrone und sind weg.
„Schaaaade", sagen Anna und Kathi wie aus einem Mund. Pelle, den es jetzt aber vor Freude und Bewegungsdrang nicht mehr auf seinem Platz hält, stürmt einfach los und dem nächsten Blätterwirbel hinterher. Sie gehen weiter ihres Weges und sind noch etwas verzaubert von diesen ruhigen, stillen und intensiven Momenten. Inmitten des Waldes. Als Teil der Natur.
Anna sagt zu Kathi: „Wenn die Menschen still werden, einen Moment ganz ruhig sind und mal gar nichts tun, dann zeigt sich die ganze Schönheit der Natur. Einfach hier, vor unserer Haustür.“
In diesem Moment kommt die Sonne hinter einem großen Baum hervor und zaubert einen tollen Lichtkegel auf den Waldboden. Er sieht so aus wie ein Scheinwerfer auf einer Bühne.
„Ja“, grinst Anna. „Die Natur ist die wahre Bühne. Wir müssen nur leise sein, uns öffnen und hinschauen.“
Eines morgens, draußen ist es sehr ungemütlich, steht Anna am großen Wohnzimmerfenster und schaut in den Himmel hinauf.
„So grau ist es heute. Da sieht man ja kaum die Hand vor Augen. Kaum vorstellbar, dass dort oben ein weiter Himmel ist. Oder dass da gar leuchtende Sterne sind“, flüstert sie leise vor sich hin.
Aus dem Radio ertönt schon den ganzen Morgen wunderschöne Weihnachtsmusik. Ein Gefühl der Geborgenheit fliesst friedlich durch Anna hindurch.
Plötzlich hört Anna ein Lied, welches von einem Engel handelt. Es ist das alte Lieblingslied von Annas Mama: „There must be an Angel“ von den Eurythmics. Anna wird es ganz warm ums Herz.
Der Himmel öffnet sich in ihrer Fantasie und das ganze Weltall ist zu sehen. Und es ist gar nicht schwarz, so wie sich die Menschen das All immer vorstellen. Nein, es ist sooo leuchtend wegen der Millionen und Abermillionen von Sternen.
Anna hebt ihre Arme in die Luft und schwingt sie von links nach rechts zur Musik. Ist das schön! Wie auf einem riesengroßen Konzert….denn die Sterne schwingen mit. Im Weltall! Alle bewegen sich zur Musik, die in Annas Wohnzimmer erklingt.
Wie ist das alles möglich? Und wie immer, wenn Anna etwas Aussergewöhnliches erlebt: Sie denkt gar nicht weiter darüber nach, sondern genießt einfach den jetzigen Moment mit all seiner Schönheit.
Sternen-Tanzen-Zeit. Einfach zauberhaft.
Anna und ihre Freundin Kathi liegen im Gras und schauen wieder einmal verträumt in den Himmel. Die Sonne scheint und die beiden Freundinnen spielen „Wolkenraten“.
„Da“, ruft Kathi, „ein Hund.“ Die weiße, flauschige Wolke sieht wirklich aus wie ein kleiner Hundewelpe. Großer Kopf. Zwei, nein, sogar drei Pfoten sind zu sehen und eine Rute, die zu wedeln scheint. „Niiiiedlich“, ruft Anna. „Jetzt hat er mich angeschaut“, sagt Kathi.
„Oh“, flüstert Anna, „ich sehe einen Vogel. Könnte ein Bussard oder ein Adler sein.“ „Wo?“ ruft Kathi laut. „Wo ist er? Zeig mal!“
Anna antwortet nicht, zeigt nur mit dem Finger auf diesen großen Vogel und scheint schon wieder in einer anderen Welt zu sein. Für Kathi ist das nichts Neues. Anna ist dann für einige Augenblicke ganz ruhig und schaut völlig gebannt irgendwo in der Gegend herum. "Tagtraum", sagt Kathis Mutter immer dazu. Ja, Anna scheint wirklich ein wenig zu träumen. Sie ist mit ihren Gedanken nicht so ganz hier auf der Wiese. Und wirkt irgendwie auch nicht ganz wach.
Anna selbst ist wieder einmal völlig fasziniert von dem, was sie da gerade erlebt:
Sie setzt sich auf. Fühlt auf ihrem Rücken plötzlich zwei Flügel. Breitet diese langsam aus. Reckt und streckt sich. „Wow! Fantastisch!“, denkt Anna. „Ich habe Flügel! Zwischen meinen Schulterblättern“.
Und als wäre das noch nicht genug, verwandelt sich Anna weiter. Ihr Kopf wird zu einem Adlerkopf mit Schnabel. Ihre Beine verschwinden und verwandeln sich zu Krallen. Sie streckt sich einige Male, schlägt mit den Flügeln. So, wie es ein junger Vogel in seinem Nest macht. Hebt ein kleines Stück ab. Und mit dem nächsten Flügelschlag hebt sie ganz ab. Wundervoll!
Anna fliegt los. Über einen weiten Ozean. Sie entdeckt drei lebensfrohe Delfine, die sie eine Weile lang begleiten. Sie lächeln, hüpfen und springen. Sie toben im Wasser!
Anna erwischt die nächste Thermik und steigt auf. Sie fühlt sich frei. So frei. Einfach fantastisch! Sie legt ihre Flügel an und stürzt sich mit einem lauten Schrei in die Tiefe. „Ist das geeeeil“, ruft Anna. Sie lacht und jubelt. Sie trudelt ein bisschen und nimmt dann den Schwung der nächsten Böe auf, um wieder in den Himmel hinauf zu fliegen. Sie macht eine Wende, fliegt kopfüber einen Kreis und in einem weiten Bogen lässt sie sich tragen. Einige Momente lässt Anna sich einfach treiben und kommt dann, mit einem kurzen Jubel-Schrei, zurück in den Moment.
Ein riesiges, breites Grinsen im Gesicht, auf dem Rücken noch eine Vogelfeder.
Kathi schaut Anna lächelnd an und sagt zu ihr: „Guck mal. Eine Feder. Die lag wohl im Gras. Jetzt hängt sie an deinem T-Shirt fest“.
Als Erinnerung an diesen wundervollen Moment nimmt Anna die Feder mit nach Hause und legt sie in ihre Erinnerungskiste. Anna sammelt nämlich immer irgendwelche Dinge in der Natur, die sie an diese außergewöhnlichen Momente erinnern. Eine Schatzkiste.
Heute kommt also die Verwandlungsfeder dazu. Sie schimmert ein bisschen adlerbraun. Als Anna die Feder abends nochmals in die Hand nimmt, hat sie das Gefühl, dass ein leichter Luftzug ihre Finger streicht. Eine leichte Gänsehaut überzieht dabei ihren gesamten Körper.
Eines Winterabends, es ist schon lange dunkel und Anna ist hundemüde vom vielen Spielen mit ihrer Freundin Hannah, fällt Anna geradezu ins Bett. Draußen stürmt und regnet es. Mama liest Anna wieder eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Das ist ihr gemeinsames Ritual und beide freuen sich jeden Abend sehr darauf.
Die Geschichte heute handelt von Drachen und vom Feuerspeien. Anna ist ein bisschen mulmig und sie greift nach Mamas Hand. Anna hat so unheimlich viel Fantasie und kann sich die Wesen aus den Geschichten immer so richtig gut vorstellen. Also…wie die aussehen, was für Gesichtsausdrücke die haben und so. Manchmal meint Anna sogar, dass sie sie hören kann.
Mama erzählt sie so etwas gar nicht mehr. Sie sagt immer, das könne gar nicht sein. Das sei doch schließlich nur eine Fantasie-Geschichte aus einem Buch. Erwachsene - grumpf. Was man nicht sehen kann, das gibt es nicht… aber Anna "sieht" das anders. Sie hat allerdings gelernt bei bestimmten Dingen einfach ihren Mund zu halten und nichts davon zu erzählen.
Mama gibt ihr, wie immer, noch einen Kuss auf die Stirn und steckt die Bettdecke unter ihr fest, damit sie nicht friert. „Gute Nacht, Anna. Schlaf gut. Und wenn es dir bei dem Sturm zu unheimlich wird, dann kommst du einfach zu mir und Papa ins Bett.“ „Gut´s Nachti, Mama. Ja, das mache ich.“
Einige Minuten später stürmt es aber mal so richtig. Die alten Holztüren klappern, der Wind rappelt an den Fenstern und irgendwie auch ein bisschen am ganzen Haus. Auf einmal prasselt der Regen nur so vor die Fensterscheibe und Anna schlüpft aus dem Bett und stellt sich ans Fenster.
Wie gut, dass sie Mama gesagt hat, dass sie die blöden, ollen Rollanden heute Nacht nicht herunterlassen soll, damit es nicht so klappert. Nun kann sie diesem Schauspiel draußen zusehen. Wow - wie das stürmt und der Regen peitscht nur so durch die Straßen. Waagerecht nennen die Erwachsenen das. Anna sagt dazu immer „gummitwist-recht“; statt waagerecht. Klingt lustiger und die Großen staunen immer so über Annas Zauberwörter.
Als Anna in Richtung Laterne schaut, sieht sie auf einmal mehrere große Wesen. Sie sehen fast aus wie Menschen, sind aber so groß wie ein Haus. Und diese Wesen schreiten durch die Straße. Wahnsinn! Die strahlen sooo eine Ruhe und Sicherheit aus. Anna öffnet schon den Mund, um nach Mama zu rufen, hält sich aber schnell die Hände davor, damit bloß kein Wort ihren Mund verlässt.
Anna ist vollkommen fasziniert von diesen Wesen. „Was die wohl wollen?“, fragt Anna sich. Dann hat sie plötzlich einen Satz im Kopf, der aber gar nicht von ihr selber kommen kann. Nämlich: „Das sind die Wächter der Nacht. Sie beschützen jedes Haus.“ Huch. Wo kommt denn das auf einmal her?!
Aber Anna kennt das schon und erschreckt sich gar nicht mehr. Ihre Tante sagt immer das sei die „Geistige Welt“ - was auch immer das jetzt wieder heißen soll. Geist - ist das nicht ihr Kopf? Aber Geister sind doch auch so Wesen, die in alten Schlössern herumirren und die Menschen erschrecken. Wie Geister sehen die aber nicht aus. Und sie wirken auch nicht so. Sie wirken so…majestätisch. So rein und voller Liebe und Güte.
Anna wartet noch einen Moment staunend am Fenster, ob noch mehr passiert. Aber der Regen lässt langsam nach und dann legt Anna sich wieder ins Bett. Ob sie Mama wohl am nächsten Morgen von diesen wundervollen Wesen erzählen soll? Sie kann ja einfach sagen, sie hätte das geträumt. Anna hat immer sehr lebhafte Träume und Mama kennt das schon.
Ja, ich verstecke das, was ich gesehen habe, einfach wieder in einem Traum. Dann wundert Mama sich auch nicht. Wie schade, dass sie Mama nicht die Wahrheit sagen kann… aber ihrer Tante…der kann sie das erzählen… die ist nämlich ein Engel - sagt Mama. Mama meint das bestimmt wieder so erwachsenenmässig: Engel. Aber Anna meint das echt.
Eine Nacht im Dezember. Es stürmt und der Wind pfeift nur so durch die Bäume. Ein sicheres Zeichen, dass Anna wieder etwas ganz Außergewöhnliches träumen wird. Und so ist es dann auch. Anna wird vom Klappern der Rolladen wach und setzt sich verwundert in ihrem warmen, kuscheligen Bett auf. Sie schaut auf ihren Delphin-Wecker. Es ist 1 Uhr in der Nacht. Puh. "Geisterstunde", wie ihr großer Bruder diese Zeit immer nennt. Anna hat aber keine Angst vor Geistern. Sie ist nämlich schon Mal welchen begegnet. Natürlich im Traum! Da waren sie immer sehr nett zu Anna. Und lachen kann man auch mit denen! Anna sitzt also ganz verschlafen in ihrem Bett und lauscht den Geschichten, die der Wind in dieser Nacht zu den Menschen bringt.
Die meisten Erwachsenen können diese Geschichten aber leider nicht hören. Das findet Anna so schade. Die Großen sind ja meistens mit Irgendetwas beschäftigt. Tagträumen gibt es bei denen nur selten. Wenn Anna mal in der Schule kurz wegträumt, bekommt sie von der Lehrerin immer gleich einen blöden Spruch gedrückt. Zum Glück hat Anna eine tolle Tante, mit der sie immer über ihre Träume reden kann. Egal ob Tag- oder Nachttraum. Da muss Anna sich nicht verstecken und kann so reden, wie ihr der Mund steht. Bei Mama muss sie ihre Tagträume immer in Nachtträume verpacken. Denn Nachtträume haben alle. Die sind erlaubt.
Nun aber zurück zu Annas Traum. "Hm. Ich kann mich gar nicht so richtig daran erinnern." murmelt sie. Plötzlich hat Anna eine Melodie im Kopf. Und mit der Musik kommt auch die Erinnerung an den Traum zurück:
Anna sitzt am Frühstückstisch. Ein warmer, duftender Kakao steht vor ihr. Im Radio läuft ein wunderschönes Lied. Anna merkt, dass ihr das Herz zur Musik aufgeht. Das ist sooo schön. Als würde sich eine Tür öffnen. Plötzlich bemerkt sie, dass ein Wesen vor ihr sitzt. Es guckt sie ganz verträumt an und wirkt so, als wäre es irgendwie neidisch auf Anna. Anna kennt sie schon, diese Wesen in ihren Träumen. Das ist eher so eine wabernde Masse. Kein richtiger Körper. Essen und trinken müssen die auch nicht. Das Wesen ist ganz überrascht, dass Anna es sieht.
Es nimmt all seinen Mut zusammen und fragt Anna, wie sich diese Musik in ihrem Herzen anfühlt. Da ruft Anna: „Gaaaanz warm und weit und irgendwie wie….Liiiiebe!“ „Ah“, seufzt das fremde Wesen. „Das möchte ich auch können. Lieben!“ Anna ist ganz entsetzt und traurig zugleich! „Du kannst nicht lieben??“
„Nein“ sagt das Wesen ganz traurig und sinkt dabei auf seinem Stuhl etwas in sich zusammen. „Da, wo ich herkomme gibt es keine Liebe. Kannst du mir beibringen, wie sich das anfühlt?“
Anna überlegt einen Moment. Wie soll das gehen? Wie erklärt man jemandem, wie sich Liebe anfühlt?! Dann hat Anna eine Idee. Sie läuft zum Radio, dreht die Musik noch lauter. Denn je lauter die Musik ist, desto besser kann Anna sie selber spüren. Dann setzt sie sich auf den Stuhl direkt neben das Wesen. Etwas mulmig wird ihr schon…aber dann tut sie es:
Sie nimmt die Hand des Wesens und legt diese auf ihr eigenes Herz. Wow! Was für ein Gefühl! Da fließt irgendwas! „Das ist Energie“, sagt das Wesen. „Nein“, schmunzelt Anna, „das ist Liebe.“ Ihr Lächeln erstreckt sich über ihr ganzes Gesicht, bis hin zu beiden Ohren. Weiter durch den ganzen Körper und zack, direkt ins Herz. Bäng!
Auch das Wesen lächelt jetzt. Seine Trauer ist verschwunden. Es verändert seine Farbe - ist nicht mehr farblos, sondern golden. Es schimmert richtig. Anna ist hin und weg. Das ist einfach wundervoll! Sie will nach ihrer Mama rufen und ihr von dieser zauberhaften Begegnung erzählen. Erinnert sich dann aber daran, dass sie ja schläft und träumt.
Anna und das fremde Wesen sitzen dort nun gemeinsam. Sie fühlen, wie sich die Liebe auch im ganzen Raum ausbreitet. „Das ist soooo schön“, flüstert das Wesen. „Danke. Tausend Dank!“, hört Anna es noch ganz leise aus der Ecke des Zimmers sagen. Dann ist das Wesen auch schon durch die Wand des Hauses verschwunden. Weg. Einfach so. Zurück bleibt in der Luft das Bild eines riesengroßen, roten Herzens. Es pocht. Es sieht so aus wie dieses Herz auf ihrem Smartphone.
Im ersten Moment ist Anna ganz traurig. Was war das wieder für ein sonderbares Erlebnis. Im nächsten Moment wird es Anna aber wieder ganz warm ums Herz. Liebe. Ein tolles Gefühl. Und noch besser, wenn man es teilt.
Anna erwacht mitten in der Nacht mit klopfendem Herzen. Sie ist ganz verschwitzt und noch etwas orientierungslos. „Wo bin ich?“, ruft sie laut. Mama kommt schon zur Tür herein und schaut Anna ganz liebevoll und etwas sorgenvoll an. „Hast du wieder schlimm geträumt?“ Sie streicht Anna vorsichtig eine Strähne aus der Stirn.
„Möchtest du mir von deinem Traum erzählen?“, fragt Mama ganz leise. Sie weiß, dass Anna in diesen Momenten immer ganz besonders sensibel ist. Denn nicht nur ihre Träume sind besonders intensiv. Anna ist ein sehr sensibles Kind. Daher braucht Anna auch immer ganz viel Zeit für sich. „Nun“, sagt Mama. „Erzähl doch mal“.
Anna sammelt sich einen Moment und beginnt dann zu erzählen. „Mama, ich war in einem fahrenden Zug. Der Zug war sooo schnell. Am Anfang hat er einige Male angehalten und immer mehr Menschen sind eingestiegen. Sie waren alle ganz doll traurig. Warum wohl? Ach, das war ein ganz besonders abscheulicher Zug. Der nannte sich sogar „Zug der Trauer“. Und je mehr traurige Menschen in den Zug eingestiegen sind, desto schneller wurde er. Zum Schluss hat er durch die viele Trauer gar nicht mehr stoppen können. Ich dachte im Traum immer: Ich muss hier raus. Aber ich kann nicht! Da war so ein Sog! Das war ganz doll schlimm“.
Anna muss erst mal eine kleine Pause einlegen, um sich etwas zu beruhigen. Papa hatte Anna inzwischen eine Heisse Milch mit Honig zubereitet und setzt sich auf die andere Seite des Bettes. So sitzen die drei nun zusammen. Die Eltern etwas besorgt um ihr kleines Mädchen. Anna ist immer noch verweint und einige Tränen kullern noch. Auf der anderen Seite ist es auch gut, dass Mama und Papa einfach da sind, ihr zuhören und sie in den Arm nehmen.
„Dann habe ich plötzlich eine Frau draußen gesehen. Eigentlich war es gar keine Frau. Hm, das war eher ein Engel, denn sie konnte fliegen. Sie wirkte ganz glücklich und fröhlich. Sie hat mir zugewinkt und gerufen, dass ich aus dem Zug aussteigen kann, wenn ich gaaaaanz doll an etwas Schönes denke!"
"Dann habe ich daran gedacht, wie wir letzte Woche alle zusammen Schlitten gefahren sind. Das hat sooo viel Spaß gemacht. Da haben wir doch auch das Picknick im Schnee gemacht. Daran habe ich gedacht. Und dann wurde plötzlich von außen das Zugfenster herunter geschoben und die Frau hat mich aus dem Zug gehoben. Wir sind noch einige Meter bis zum Bahnhof durch die dunkle Nacht geflogen und dann hat mich der Engel dort abgesetzt."
"Ihr beiden habt dort schon auf mich gewartet und ihr habt mich in eine dicke, warme Decke gewickelt. Mein Herz ist vor lauter Freude auf- und abgesprungen. Ich war so glücklich, als ich euch gesehen habe und als ich gefühlt habe, wie sehr ihr mich liebt. Ein Teil der Liebe ist vor Freude über den ganzen Bahnhof gehüpft und dem Zug hinterher."
"Vielleicht", dachte ich im Traum, "schafft die Liebe es ja, sich so doll im Zug auszubreiten, dass er anhält und alle traurigen Menschen wieder aussteigen können. Das habe ich mir so sehr gewünscht! Dann haben wir alle drei dem Zug hinterher geschaut."
"Plötzlich ist er langsamer geworden und dann ist er mit quietschenden Bremsen und rauchenden Reifen stehen geblieben. Eine riesige Wolke aus Liebe hat den Zug umhüllt und alle Menschen sind aus dem Trauerzug ausgestiegen. Sie waren schon nicht mehr ganz so traurig. Einige hatten sogar ein kleines Lächeln im Gesicht! Ich habe den Zug direkt umgetauft in „Zug-der-Hoffnung“.„Oder“, sagt Anna: „Wie findet ihr „Zug der Liebe“?
Nachdem Anna ihre Heisse Milch ausgetrunken und sich etwas beruhigt hatte, verabschiedet Papa sich mit einem Gute-Nacht-Kuss. Mama legt sich zu Anna ins Bett und die beiden kuscheln sich ganz eng aneinander. Kurze Zeit später schläft Anna ganz ruhig und friedlich ein. Mit einem Gefühl von Geborgenheit und Gehalten-Sein.
Eines Abends geht Anna etwas traurig und mit einem leichten Gefühl von Einsamkeit ins Bett. Sie fühlt sich immer mal wieder allein auf dieser Welt. Geschwister hat sie nicht und ihre Freundin Hannah ist gerade weggezogen. „Ach, hätte ich doch wenigstens ein Haustier. Eine Katze. Oder wenigstens ein Meerschweinchen. Dann könnte ich mit ihm kuscheln und wäre nicht so oft allein.“
Anna kuschelt sich statt dessen an ihren schwarzen Panter „Pelle“ und fällt fast augenblicklich in einen tiefen Schlaf.
Im Traum findet sie sich plötzlich am Eingang einer Höhle wieder. Ob sie sich wohl trauen soll, hineinzugehen? Es scheint dort schon ein bisschen dunkel und kalt zu sein. Als Anna noch so hin- und her überlegt, kommt ein alter Mann aus der Höhle auf sie zu. Er sagt, er sei ein weiser Mann, ein alter Schamane. Er lächelt Anna an, reicht ihr die Hand und lädt sie ein, sich zu ihm ans Feuer zu setzen.
Anna ist überrascht, dass es in der Höhle gar nicht so kalt ist. Im Gegenteil. Es ist richtig gemütlich und das Feuer spielt mit seinen Schatten an den Wänden fangen. Anna fühlt sich gleich geborgen. Das ist ganz neu für sie. Dieses Gefühl der Geborgenheit, wenn sie mit fremden Menschen zusammen ist. Und dann noch in einer Höhle!
Papa sagt immer, sie solle sehr vorsichtig sein, wenn ihr fremde Menschen begegnen. Das sagt sie dann auch dem Schamanen. Der nickt und sagt, ihr Vater sei ein schlauer Mann, aber er hätte vielleicht verlernt was es heißt, den Menschen zu vertrauen. Sicher gibt es einige Menschen, die nichts Gutes im Sinn haben, aber es gibt viel mehr Menschen, die es gut mit einem meinen.
Der Schamane überlegt einen Moment, kramt dann in einer Kiste und holt einen alten Ring hervor. Mit einem blauen Stein darin. "Wow, ist der schön", ruft Anna. Der Stein erinnert sie ein wenig an das Meer aus dem letzten Urlaub. Da war sie mit ihrer Familie in Griechenland. Oma und Opa waren auch dabei. Das war schön. Das Meer war warm, der Sand ganz weich und das Wasser hatte eine wunderschöne blaue Farbe, es wirkte sogar ein bisschen grün oder türkis.
Der Schamane beugte sich zu Anna herunter und sagte: "Das ist ein Zauberring. Den möchte ich dir gerne schenken." Ob sie denn von ihm ein Geschenk annehmen möchte, fragte er Anna. Sie überlegte kurz und sagte dann: "Ja, ich träume ja gerade. Und im Traum hat Papa bestimmt nichts dagegen, wenn ich von dir ein Geschenk annehme."
Aber warum ist das ein Zauberring?, dachte Anna. Der sieht doch ganz gewöhnlich aus. Der Schamane schaute Anna an und sagte: „Der Ring leuchtet immer auf, wenn Dir ein Freund begegnet und du auf eine Person triffst, die es gut mit dir meint.“
Anna ist völlig perplex. Hatte sie den Satz gerade etwa laut ausgesprochen? Jetzt wurde Anna aber neugierig. Ein Ring, der Freund und Nicht-Freund unterscheiden kann? Das bedeutet ja, dass ich allen Menschen gegenüber in Sicherheit bin und wenn mir ein fremder Mensch über den Weg läuft, mich anspricht, und der Ring nicht leuchtet….dann gehe ich einfach weiter und rede gar nicht mit ihm.
„Genial!“ schreit Anna - und erschreckt sich selber über die Lautstärke ihres Ausrufes. Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass sie in der Höhle ist und dass es hier so schallt!
Der alte Schamane überreichte ihr den Ring mit einem tiefen Lächeln im Gesicht. Jetzt fragt ihr euch sicherlich, was das ist, ein tiefes Lächeln. Das ist ein Lächeln, welches von Herzen kommt. Von ganz tief drinnen.
Anna nimmt den Ring ein bisschen ehrfürchtig entgegen und steckt ihn an ihren Finger. Er beginnt sofort zu leuchten.
„DU BIST EIN FREUND“, schreit Anna. Und dieses Mal erschreckt sie sich gar nicht über den Schall-Schrei. Anna bedankt sich bei dem alten Mann und verlässt freudestrahlend die Höhle.
Als sie nach draußen geht, bemerkt sie, dass sie in Wirklichkeit noch in ihrem warmen Bett liegt und die kleine Nachttischlampe mit den Delphinen leuchtet. Mama steht vor ihr und will ihr noch einen Gute-Nacht-Kuss geben. Sie kommt gerade von ihrer Spätschicht nach Hause. „Anna, du strahlst ja so. Hast Du etwas Schönes geträumt?“
„Ja“, sagt Anna….oder war es etwa gar kein Traum?
©Copyright. Bilder, Texte und Fotos von Stefanie Bräunig
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